Darf ich vorstellen? Ich bin Mara. Das heisst, bis vor kurzem hatte ich noch gar keinen Namen. Damals lebte ich auf der Strasse in Rumänien. Man sagt ich sehe aus wie ein Husky. Ich habe keine Ahnung wie ein Husky aussieht. Aber irgendwie muss ich schon toll aussehen, denn überall, wo ich hinkomme, haben diese zweibeinigen Kreaturen Freude an mir und sagen: «ach was bist du für ein süsses Hundchen». Doch das war nicht immer so. Damals auf der Strasse ging es um´s nackte Überleben. Da waren viele meiner Artgenossen und alle hatten nur ein Ziel: genug zu Fressen haben. Das führte oft zu Kämpfen und ich war zu schwach zum Kämpfen. Also kam ich oft zu kurz. Und im Winter habe ich gefroren.
 
Ab und zu hat eine zweibeinige Kreatur etwas in unsere Richtung geworfen, das man Fressen konnte. So dachte ich, diese Geschöpfe sind gut zu mir. Aber da irrte ich mich. Die zweibeinigen Kreaturen haben ein Gesetz erlassen, dass wir alle, also ich und meine Artgenossen, eingefangen werden sollen und in eine Anstalt gebracht werden sollen und dann nach einer gewissen Zeit getötet werden sollen. Diese zweibeinigen Kreaturen kamen eines Tages mit Schlingen und grossen Käfigen und haben einen um den anderen eingefangen. Zuerst alle meine Freunde, dann kam auch ich dran. Eng in Käfige gesperrt wurden wir in diese jämmerliche Anstalt gebracht, wo schon hunderte meiner Artgenossen waren und uns anbellten – so dachte ich jedenfalls. Aber sie haben nicht uns angebellt, sondern diese bösen Menschen. Die haben uns getreten, geschupst oder sogar viele meiner Artgenossen getötet, erschlagen, erschossen oder sonst wie malträtiert. Diese Artgenossen haben geweint, jämmerlich. Sie wollten ihre Freiheit zurück. Auf der Strasse war es zwar auch nicht viel besser, aber immerhin waren wir in Freiheit. Doch nun war ich auch hier, in diesem dunklen Käfig, eingesperrt, in meinem eigenen Dreck, feucht und kalt und es gab kein Entrinnen. Da ich nicht stark genug war zum Kämpfen, wurde ich gemobbt von den anderen. Bis ich eines Tages eine stark blutende Wunde auf der Nase davontrug. Da hat mich eine dieser zweibeinigen Kreaturen rausgeholt aus dem Käfig und mich in einen hellen Raum gebracht. Sie nannten mich von da an Tara. Dort waren noch mehr solcher Kreaturen mit zwei Beinen. Diese eine Kreatur lehrte mich, dass dies Menschen waren, gute Menschen. Menschen, die uns helfen wollten.
 
Zuerst wurde meine Wunde gereinigt und bis die Infektionsgefahr vorüber war, kam ich in einen Einzelkäfig. Dieser eine Mensch, sie nannte sich Irina, hat mir geholfen. Sie entschied sich, ihre ganze Kraft und ihren ganzen Besitz in den Dienst von uns Strassenhunden zu stellen und zusammen mit Menschen aus einem reichen Land dafür zu sorgen, dass wir wieder Freiheit erlangen, ein gutes Zuhause bekommen, jeden Tag genug zu Fressen, frisches Wasser und medizinische Versorgung erhalten werden. Ich wurde wieder gesund und Irina versprach mir, dass ich eines Tages eine ganz liebe Familie bekommen sollte. Im Herbst 2016 war es schon fast so weit, dachte ich. Denn ein paar nette Menschen kamen aus diesem reichen Land in unsere Hundeanstalt – besser gesagt in unseren Schelter, um uns zu begutachten. Eine dieser Menschinnen – sagt man überhaupt so? Jedenfalls es war eine grosse Frau mit ganz warmen, lieben Augen, hat mich gesehen und gesagt: «Was bist du für ein schönes Hundchen. Für dich werden wir ganz liebe Menschen finden». Ich schmiegte mich ganz fest an sie und hoffte, dass sie mich mitnimmt. Aber sie konnte nicht – noch nicht. Wir mussten uns noch gedulden. Aber Irina liess mich nicht mehr aus den Augen. Ein Mann ging regelmässig mit mir spazieren. Das machte Spass! Endlich frische Luft, kein Hundekot auf dem Boden, die Pfoten im Gras oder auf Kies, die Nase in der Luft und – wow! Ich wusste gar nicht, dass das so viel Spass macht- den Schwanz hin und her wedelnd. Ich war in diesen Momenten richtig glücklich. Und ich freute mich auf meine Menschen. Wann kommen sie mich endlich abholen?
 
Endlich im März 2017 war es soweit. 15 meiner Artgenossen wurden abgeholt. Und ich? Ich komme auch noch dran, hat man mir gesagt. Tatsächlich. Eine Woche später kamen so nette Menschen die mich in einen kleinen sauberen Käfig, der weich mit einer Decke ausgepolstert war, legten und haben mir versprochen, mich jetzt zu den netten Menschen zu bringen. Gut, ich muss zugeben, die Fahrt dorthin war nicht gerade lustig. Aber die Vorfreude auf meine Menschen war riesig. Wie werden sie wohl sein? Gibt es dort auch Artgenossen? Werde ich genug zu Fressen habe? Einen trockenen, einigermassen weichen Schlafplatz? In Gedanken versunken schlief ich ein. Ein paarmal wachte ich auf, hörte Menschenstimmen und dachte schon, ich sei endlich da. Doch es waren Zollbeamte, die alles ganz genau kontrollierten. Denn viele meiner Artgenossen, so erfuhr ich später, werden illegal über die Grenzen geschmuggelt. Aber ich nicht. Ich hatte Papiere und einen Chip, war geimpft gegen schlimme Krankheiten, war operiert, damit ich keine Babys bekomme, die dann ein so schlechtes Leben haben, wie ich es früher hatte, und ich wurde auch entwurmt. So durfte ich also legal in das reiche Land einreisen – in die Schweiz. Nachdem ich nach langer Zeit wieder aufgewacht bin, wurde ich von den zwei Männern aus meinem Käfig gelassen. Da standen sie, die netten Menschen. Welches davon ist mein Mensch? Ich beschnupperte alle. Da kam eine Menschin auf mich zu und meinte: «Das ist sicher Tara». Sie hatte eine so liebe Stimme! Sie beugte sich zu mir herunter und begann mich zu kraulen und meinte: «Ich bin Heidy, ich bin dein Mensch». Ich bekam Tränen in die Augen. Endlich habe ich es geschafft! Ich bin angekommen. Heidy nahm mich auf den Arm, ich schmiegte mich ganz fest an sie. Sie legte mich liebevoll in ein warmes Bettchen, dazu kam noch Lucky, mein Freund und wir fuhren los. Endlich habe ich es geschafft. Zufrieden und erschöpft schlief ich ein.
 
Nach einer Weile haben sie Lucky aus meinem Bettchen gehoben und wir fuhren weiter. Nach kurzer Dauer waren wir am Ziel. Ein ganz netter Mensch, es war aber nicht Heidy, sondern Andi, der zweite meiner Menschen, hob mich aus dem Bettchen und trug mich durchs Treppenhaus. Hinter einer Türe wartete ein Artgenosse auf mich, Sansibar, ein stattlicher Rüde, wunderschön und sooo lieb. Ich verliebte mich geradewegs in ihn. Und er glaub auch in mich. Er begrüsste mich freundlich und beschnupperte mich. Seit diesem Tag sind wir beiden unzertrennlich. Der liebe Mensch Nummer 2, also Andi, legte mich in ein anderes Bettchen. Dort schlief ich sofort ein und musste mich erstmal von den Strapazen der langen Reise erholen. Nach einigen Stunden hielt mir mein Mensch Wasser vor die Nase und ich durfte sauberes Wasser trinken. Danach bekam ich etwas Leckeres zu fressen. Nach weiteren Stunden des Schlafens wurde ich gebadet. Ich würde stinken, sagte man mir. Kunststück, wenn du die ganze Zeit in deinem eigenen Kot liegen musst. Langsam aber sicher kam ich auch wieder zu Kräften und fing an zu begreifen, welch ein riesen Glück ich hatte, zu so lieben Menschen und zu einem so lieben Artgenossen gekommen zu sein. Mittlerweile lebe ich schon mehr als einen Monat hier und ich bin total glücklich.
 
Alle lieben mich. Ich darf schmusen, so viel ich will. Ich bekomme gute Fellpflege, feines Fressen, sauberes Wasser und wir gehen jeden Tag mindestens 3-mal spazieren. Mittlerweile sogar schon an der Langleine. Meine Menschen rufen dann meinen Namen, der mittlerweile Mara ist und wenn ich dann zu ihnen laufe, streicheln sie mich ganz liebevoll und loben mich. Sie halten mir dann auch etwas vor die Nase, aber in diesem Moment brauche ich nichts zu fressen, das überlasse ich dann Sansibar, sondern geniesse einfach den Moment. Das tut mir so gut! Ich hoffe, dass alle meine Artgenossen, die noch in diesem dreckigen dunklen Shelter ihr Dasein fristen müssen, eines Tages zu so lieben Menschen komme, wie ich. Danke an alle, die mir diese Reise ins Glück ermöglicht haben!