Wilma – flauschige Diva

Als Wilma im Dezember 2015 zu uns kam, hiess sie noch Snoopy, und war genauso unsicher wie wir selbst. Meine Frau und ich, als Hundehalter Neulinge, hatten uns kurz vor dem 50. Geburtstag den heimlichen Hundewunsch erfüllt, den wir seit Kindheit hegten. Und nun hatte es endlich geklappt: Ihr Pflegemami hat den Hund zu uns gebracht und sich verabschiedet. Und da sassen wir nun im Wohnzimmer, allein mit dem Hund, der seinerseits dasass und uns erwartungsvoll ansah.
 
Aber der Reihe nach: Als der Entschluss für einen Hund gefallen war, machten wir uns auf die Suche und landeten bei „Hilf dem Tier“. Dort indes waren wir überrumpelt und überfordert von den vielen treuherzigen Hundeaugen, die uns auf der Homepage anschauten. Also legte man uns eine bedürftige Hundedame ans Herz, genauer einen kurzbeinigen Hund mit langem, hellem Fell namens Snoopy. Natürlich hatten wir uns einen Hund mit langen Beinen und einem kurzen, dunklen Fell gewünscht. Aber mit dem Wünschen ist das ja so eine Sache. Wir liessen uns trotzdem darauf ein, Snoopy zumindest einen Besuch abzustatten, um sich gegenseitig etwas zu beschnuppern. Wir gingen also mit Snoopy ein Stündchen spazieren, und es war um uns geschehen. Kurz darauf entschieden wir, den Hund zu uns zu nehmen. Wobei wir ja eigentlich nie etwas zu entscheiden gehabt hatten …
 
Nach ihrer Ankunft wurde unsere neue Mitbewohnerin, damals um die drei Jahre alt, erst einmal umgetauft. Snoopy ist für uns Peanuts-Generation zu stark mit jenem schwarz-weissen Trickfilm-Beagle verknüpft. Ihr neuer Name ergab sich wie von selbst: Wilma! Sie hörte auch von Anfang an auf ihren neuen Namen, wenn sie Lust dazu hatte. Denn obwohl Wilma im Zwinger in Rumänien schwierige Zeiten zu überleben hatte, kam ihr überaus eigensinniges Wesen bald zum Vorschein und sie legte ihre anfängliche Zurückhaltung uns gegenüber rasch ab.
 
Dazu krempelte sie unser beider Leben von heute auf morgen gehörig um: Plötzlich fanden wir uns täglich und stundenlang auf den Strassen und Wegen unseres Quartiers wieder, mit einem abenteuerlustigen Fellbündel am anderen Ende der Leine, das die Welt erobern will und sich darauf verlässt, dass wir sie unterstützen und vor Unheil bewahren. Eine Lektion für uns: Sie vertraut uns vollständig, und lässt sich auch durch ein paar Missverständnisse nicht erschüttern.
 
Innerhalb der Wohnung kann seit Wilmas Ankunft kein Schritt mehr getan werden, den ihre Schnüffelnase nicht aufmerksam begleitet. Wenn ich im Home Office arbeite, wartet sie zu meinen Füssen auf eine Pause. Wenn ich in der Küche hantiere, wird jeder meiner Handgriffe genau beobachtet, um keinen zu Boden fallenden Krümel zu verpassen. (Das übrigens ist für Wilma der grosse Makel an ihrem neuen Zuhause: Warum musste sie ausgerechnet bei Vegetariern landen?) Wenn ich mit dem Staubsauger herumrenne, schaut sie mich entgeistert an. Und wenn ihr beim Zuschauen mal langweilig wird, macht Wilma meine Partnerin oder mich mit einem leichten Wadenzwick darauf aufmerksam, dass wir uns mal mit dem Hund abgeben sollten.
 
Heute sind es schon eineinhalb Jahre, seit Wilma bei uns ist. Wir können und wollen uns nicht mehr daran erinnern, wie es ohne sie war. Sie begrüsst uns jeden Morgen beim Aufwachen mit einem Tänzchen und freut sich auf alles, was der Tag bringt. Sie leert jeden Napf mit Elan, ist bei jedem Spaziergang mit Begeisterung dabei, schläft am liebsten zwischen uns auf dem Sofa, ist für jedes Spässchen zu haben und bringt ganz einfach jede Menge Freude in unseren Alltag.
 
Und nicht nur in unseren. Natürlich hält jeder Hundebesitzer seinen eigenen Vierbeiner für den hübschesten des Planeten! Wir sind keine Ausnahme. Doch wir erhalten zudem von unserem Umfeld, ja von der ganzen Umwelt, ein immer wieder überwältigendes Feedback: „Ist das ein niedlicher Hund! Was für ein hübscher Kopf! Was für schöne Augen!“ Wilma erhält täglich Komplimente von wildfremden Passanten. Immer wieder wollten sich Leute mit ihr fotografieren lassen, fragen uns, was für eine Rasse das sei. Und unzähligen Leuten zaubert sie beim Vorbeigehen einfach ein Lächeln ins Gesicht, da sie mehr oder weniger unwiderstehlich ist.
 
Auch Kinder können ihrem flauschen Charme kaum widerstehen. Die Frage: „Darf ich sie streicheln?“ hören wir oft, und Wilma lässt dann jeweils alle Liebkosungen geduldig über sich ergehen. Selbst wenn manchmal gleich eine Horde Kindergärtner um sie herumsteht und sie anfasst, ergibt sie sich gutmütig und geduldig in all diese Streichelattacken.
 
Aber Wilma kann viel mehr, als sich nur Streicheln zu lassen. Zwei Mal im Monat begleitet sie meine Frau an ihren Arbeitsplatz, ein Alters- und Pflegezentrum der Stadt Zürich. Dort verbringt sie als nicht ausgebildeter, simpler „Besuchshund“ den Tag mit den Seniorinnen und Senioren, meist mit einer Gruppe von Leuten im Aufenthaltsraum. Sie macht aber auch Einzelbesuche auf den Zimmern, bei bettlägrigen Menschen. Diesen Leuten tut es gut, wenn sie den Hund schon nur fünf Minuten bei sich auf der Bettdecke haben und berühren können, wenn sie wieder einmal mit etwas Quicklebendigem in Kontakt kommen. Ansonsten bereitet es den Bewohnern grosse Freunde, Wilma einfach nur dabei zuzuschauen, wie sie Wilma ist. Wie sie sich die Pfoten reinigt, ein heruntergefallenes Würstchen verschlingt, jeden Quadratzentimeter nach Essbarem abschnüffelt, meiner Partnerin auf Schritt und Tritt durchs Gebäude und sie gelegentlich sanft anstupst oder auch frech in die Wade zwickt.
 
Wilma hat im übrigen einen offiziellen Arbeitsvertrag, auch wenn sie für ihre Dienste keinen Lohn bekommt. Ende letzten Jahres erhielt sie aber von ihren Vorgesetzten ein Dankesschreiben und eine Geldprämie für ihre guten Dienste. Womit sie auch gleich einen Teil ihres Lebensunterhaltes selbst verdient – wie viel toller kann ein Hund noch sein?!
 
Nur einen Wermutstropfen hat das Ganze für uns. Wilma duldet kaum einen anderen Hund in unserer Nähe, vor allem nicht in unserer Wohnung. Auch doppelt so grosse Hunde jagt sie konsequent in die Flucht und erweist sich hierbei als veritable Zimtzicke. Mit sämtlichen Katzen steht sie ebenfalls auf dem Kriegsfuss. Wir hätten schon seit Längerem gerne tierischen Familienzuwachs – aber auch in diesem Punkt hat Wilma längst das Kommando übernommen …
 
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